Roberta Winterberg - Arbeitsagogin, Buchhändlerin & Kunstliebende
7 Fragen an Roberta Winterberg, Leiterin des Bücherbergwerks des SAH Bern - Interview vom Mai 2019 - Caroline Hulliger CRK
Roberta Winterberg ist gelernte Buchhändlerin und Arbeitsagogin. Sie erzählt im Interview, wie das Bücherbergwerk entstand, wie es bei der beruflichen (Re-)Integration unterstützen kann und was sie unter Erfolg versteht.
1. Wieso betreibt das SAH Bern ein Bücherantiquariat?
Das Verkaufen von Büchern ist nur Mittel zum Zweck. Das Ziel des Bücherbergwerks ist die soziale und berufliche Integration von Jugendlichen und Langzeitarbeitslosen.
2. Wie kamen Sie zum Bücherbergwerk ?
Das SAH Bern übernahm 2010 Heinrich Rohrers Büchermärit mit der Idee, ein Integrationsprogramm für Jugendliche zu entwickeln. Und so kam ich ins Spiel. Im Rahmen meiner Ausbildung als Arbeitsagogin war ich damals auf der Suche nach einer Teilzeitstelle im sozialen Bereich und meldete mich beim SAH Bern. Als gelernte Buchhändlerin war die Stelle im Bücherbergwerk wie gemacht für mich. Dadurch bekam ich die Möglichkeit, das ganze Projekt aufzubauen und im Februar 2011 zu lancieren. Nach drei Jahren Projektphase wurde das Bücherbergwerk zu einem festen Bestandteil des beruflichen Angebots der Sozialhilfe.
3. Wer arbeitet im Bücherbergwerk?
Unsere Zielgruppe sind Jugendliche ab 16 Jahren und Langzeitarbeitslose, die bei den Sozialdiensten oder
Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) gemeldet sind. Wenn der Sozialdienst denkt, dass ein Praxiseinsatz im Bücherbergwerk passen würde, erfolgt ein Erstgespräch mit der Aufnahme des SAH
Bern. Im Anschluss erhalten wir eine Anmeldung, die immer mit Schnuppern verbunden ist – für Jugendliche sind es acht Tage, für Erwachsene drei bis fünf. Beim Schnuppern merkt man schnell, ob
jemand motiviert ist. In der Regel sind 10 bis 15 Personen im Bücherbergwerk angestellt.
4. Was sind die Angebote des Bücherbergwerks und deren Ziele?
Für die Jugendlichen haben wir das Angebot «Berufliche Integration mit Perspektive». Die Teilnehmenden arbeiten zwischen 50-80% im Bücherbergwerk und haben einen Tag zur Verfügung, um sich weiterzubilden. Das ist der sogenannte Bildungstag. Die Anforderungen an die Jugendlichen sind hoch. Das Hauptziel ist, dass sie am Schluss ihres Praxiseinsatzes eine Lehrstelle antreten können und/oder fit sind für den Ersten Arbeitsmarkt.
Das Angebot «Soziale Integration» für Langzeitarbeitslose setzt sich primär zum Ziel, die Teilnehmenden durch eine Tagesstruktur zu stabilisieren und ihnen wieder soziale Kontakte zu ermöglichen.
5. Was muss eine junge Person mitbringen, um beim Bücherbergwerk zu arbeiten?
Eine Grundvoraussetzung für die Arbeit im Bücherbergwerk sind gute Deutschkenntnisse. Viele, die zu uns kommen, müssen zuerst an den Grundkompetenzen üben. Wichtig ist zum Beispiel, dass die
Teilnehmenden überhaupt kommen oder dass sie sich abmelden, wenn sie verhindert sind. Wir erwarten, dass sie sich telefonisch abmelden, wenn sie krank sind und nicht kommen können. Viele müssen
zuerst an diesen Sachen üben.
Es bringt nämlich nichts, jemandem eine Lehre zu organisieren, wenn er dann nicht auftaucht.
6. Was bedeutet für Sie Erfolg in Bezug auf Ihre Arbeit?
Erfolg hat für mich verschiedene Bedeutungen. Im Bücherbergwerk gibt es kleine täglichen Erfolge, die unseren Teilnehmenden Mut machen. Wie zum Beispiel jemand, der durch den Einsatz im Bücherbergwerk wieder eine Tagesstruktur erlangt und sein Leben meistern kann. Schön ist, wenn wir junge Erwachsene wie Emine haben, die nach ihrer Zeit im Bücherbergwerk wieder eine Lehrstelle machen.
Ich persönlich bin sehr stolz, dass ich dieses Programm aufbauen konnte. In den neun Jahren, die ich nun im Bücherbergwerk arbeite, habe ich sicher 200 Jugendliche betreut, die schnuppern kamen. Und fast alle, die hier arbeiten, kommen gerne und identifizieren sich rasch mit dem Betrieb. Ich habe selten schlechte Rückmeldungen erhalten. Es erfüllt mich mit Freude, wenn sich ehemalige Teilnehmende bei mir bedanken und mir sagen, dass ich ihnen viel mitgeben konnte. Das ist für mich Erfolg.
7. Und noch eine letzte Frage: Was ist Ihr Lieblingsbuch?
Ich mag die Romane von Haruki Murakami. Aber ich bin vor allem ein grosser Comic-Fan. Eines der Bücher, das mich sehr berührt hat, ist das Comic-Epos «Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens» von Ulli Lust.